Mittwoch, 26. September 2012

Lesefreude

Über den Sturm vor der Ruhe habe ich ja bereits berichtet. Der Winter nähert sich und alle müssen sich nun in diesen Monaten vorbereiten. Früchte und Gemüse werden eingemacht, das Holz wir geschlagen und gespalten (manchmal auch leider aus dem Nationalpark), aber eines habe ich ganz vergessen. Vielleicht das grösste Ereignis dieser Zeit ist die Weinlese. Ich lebe in der Region Kachetien, die Weinregion schlechthin und die Bevölkerung ist stolz auf ihre Weine!
Der grösste Teil der Weintrauben wächst auf kleineren Anbauflächen von einigen Aren, die in Familienbesitz sind. So besitzt beinahe jede Sippe ihren eigenen Wein, der natürlich stets der beste weit und breit ist. Für die Weinlese kommt dann auch die ganze Verwandtschaft zusammen. Ich hatte das Vergnügen und Ehre diesem Anlass beizuwohnen. Ehrlich gesagt gleich zweimal und davon möchte ich ein wenig berichten.
Frühstück vor der grossen Arbeit
Der Tag beginnt für einmal früh um etwa 8 Uhr und wir fahren schwer bepackt zu den Weinbergen. Obwohl - hier gibt es ja keine Weinberge aber so etwas wie Weinebenen. Vor der Arbeit wird dann erstmals deftig gefrühstückt. Wurst, Tomaten, Brot und eine Art Pizza mit Unmengen Mayonnaise. Und natürlich auch einen kleinen Tschatscha, so heisst der lokale Schnaps hier, der eigentlich georgischer Grappa ist. Meist ist er aber äusserst stark, so um die 70% Alkohol, sodass ich lieber wieder schlafen gehen würde als zu arbeiten! Insbesondere da es keinen einen Tschatscha gibt, denn einer heisst drei, so giesst mein Direktor Giorgi nach und letztendlich machen wir uns auf in die Felder.
Rebfelder vor dem grossen Kaukasus
Am ersten Tag haben wir zwölf Reihen Reben vor uns, die sich sich über 100 Meter Länge erstrecken. Bei prächtigem Wetter arbeiten wir uns Schritt für Schritt voran. Die Eimer werden gefüllt und zum Traktor gebracht. Einmal mache ich jedoch einen Fauxpas, ich werfe meine Trauben nichts ahnend in einen rumstehenden Eimer. Mit Entsetzen wird mir erklärt, dass meine Trauben zu hässlich für diesen Eimer sind. Denn es gibt immer ein, zwei Personen bei der Weinlese, die nur für die schönsten Trauben Ausschau halten. Diese Königstrauben sind dann als Geschenke vorgesehen und werden am Abend bei Freunden, dem Chef oder Nachbarn vorbei gebracht. Ich bin da nicht so zimperlich und pflücke alles, was mir unters Messer kommt.
Lasst es kesseln!
Trotz gelegentlichen Energie-Tschatschas ist die Arbeit in der prallen Sonne ganz schön anstrengend aber wir kommen gut voran und erlauben uns auch mal eine Pause. Diesmal ruhen wir uns nicht auf, sondern unterm Erfolg aus.
Auf Schattensuche
Nach vollbrachter Arbeit geht es dann ab zum Verkauf, ein grosser Teil der Weinernten werden an grössere Weinkellner verkauft und dieses Jahr sind die Preise gut (und auch stattlich vom Staat subventioniert, so kurz vor den Wahlen!), ein Kilo Trauben bringt rund 50 Cents. Eigentlich kann man die Kelterei nicht besichtigen, was ich aber doch gerne möchte. Also entscheiden meine Weggefährten kurzum, dass ich mich als Journalist aus der Schweiz ausgeben soll, der für einige Monate über Georgien berichtet. Verschwitzt, dreckig und voll von Trauben setze ich meinen ernsthaftesten Gesichtsausdruck auf und spreche ab sofort kein Wort mehr russisch oder georgisch. Und siehe da, ich werde durch die ganze Produktion geführt, degustiere die edlen Tropfen und stelle allerlei Fragen.
Bereit für den Export
Mit zwei Flaschen Wein (für mich das erste Mal, dass ich Wein in Glas und nicht Plastik verpackt mit mir trage) als Geschenk geht es wieder zurück, um mit der Supra (der traditionellen georgischen Tafel) zu beginnen. Jetzt mache ich aber kurzum einen Zeitsprung zu meiner zweiten Weinlese, denn hier haben wir die Trauben auch gleich für den Familienkonsum weiter verarbeitet. Zwei Tonnen haben wir verkauft und eine Tonne für den Hauswein behalten. So fahren wir mit unserer Beute nach hause, doch geht uns auf den letzten Metern das Benzin aus. Für ein paar Lari können wir aber eine Flasche Sprit kaufen und die Ernte einfahren. Wir sind alle hungrig, obwohl ich wohl rund zwei Kilo Trauben in mir habe. Vor der Supra müssen wir aber zuerst die Trauben verarbeiten. Dann mal los!
Voll im Saft
Die gepressten Trauben bleiben nun für einige Wochen in diesen Fässern, bevor sie gefiltert und weiter gelagert werden. Der Trester wird anschliessend aufgekocht, gelagert und dann zu Tschatscha gebrannt. Mit ein bisschen Glück wird dieser noch mit abgekochtem Wasser verdünnt, sodass er tatsächlich schmackhaft wird. In rund einer Stunde haben wir die Tonne gepresst und die Vorbereitung fürs Essen sind im vollen Gange. Aus getrockneten Maiskolben wird das Feuer für die Schaschlik gemacht und in der Küche wir alles restliche vorbereitet und der Hausherr Kacha richtet den letztjährigen Wein für das Fest.
Schweinchen schaut besser weg!
Das Festmahl ist dann auch wahrlich eine Freude, wir schlemmen und ruhen unsere müden Knochen aus. Und ich hoffe insgeheim, dass die heutige Ernte einen ebenso köstlichen Wein hervorbringt wie den, den ich soeben trinke.
Tisch und Bauch sind voll

Montag, 17. September 2012

Ich bin hier!

Herzlichen Dank für verschiedenste Anmerkungen zu meinen Bemerkungen. Doch muss ich nun zur Kenntnis nehmen, dass ich anscheinend wichtige Teile meines Aufenthaltes hier ausgelassen habe. Von verschiedenen Seiten habe ich die Kritik entgegengenommen, dass man immer noch nicht weiss, wo ich eigentlich arbeite.
Naja, ich bin froh fragt ihr mich wo ich arbeite und nicht was, so fällt mir die Antwort zumindest ein bisschen leichter. Obwohl ich zur letzten Frage auch noch Stellung nehmen werde.
Mein Arbeitsort
Bilder können ja bekanntlich lügen, dieses hier beschreibt jedoch die Wahrheit. Schätzungsweise drei von fünf Tagen bin ich irgendwo in diesen Bergen zu finden. Ich kann mich mit diesen Arbeitsbedingungen wahrlich glücklich schätzen. Natürlich sollte ich Gefahrenzulagen verlangen wegen den wilden Tieren in der Natur.
Patriotisch angehauchte Büroarbeit
Meiner Erfahrung nach lauern die Gefahren aber eher in meinem Büro. So wurde kürzlich mein GPS-Gerät von einer Maus angefallen und schwer verletzt! Anstatt Gefahrenzulagen habe ich nun eine Guetzli-Dose, in der ich alles wichtige maussicher verstauen kann. 
Trophäenfoto

Schaschlik-Plausch
Aber zurück zu meinem Büro (welches eigentlich aus einem Flur besteht, in dem einige Tische stehen), von hier aus habe ich einen guten Überblick aller Geschehnisse im Administrationszentrum der Schutzgebiete Lagodechi. Ob unser Direktor stolz unsere Beute fotografiert, nachdem wir Wilderer im Wald gestellt haben oder es uns selbst zum Fleische zieht und wir vor dem Haus Schaschlik grillen, mir entgeht nichts, hier bin ich. 

Freitag, 14. September 2012

Sitz! II

Ein Land der Individualisten
für noble,

für lange,

für breite
aber auch für die kleinen unter uns.

Dienstag, 11. September 2012

Hedonistischer Muskelkater

Ich bin wieder zurück - in der Zivilisation. Der erste Eindruck von Lagodechi vermittelte mir nicht das Flair einer Weltstadt. Nach meinem Abstecher nach Tuscheti scheint mir jedoch Lagodechi zumindest als Weltdorf durchzukommen.
Das Naturreservat Tuscheti nord-westlich von Lagodechi ist geprägt von seiner Wildheit und Unzugänglichkeit. Grundsätzlich ist Tuscheti nur in den Sommermonaten besiedelt, hauptsächlich von Hirten mit ihren Schafen, Kühen oder Pferden. Das Leben ist einfach und die Menschen herzlich, das bemerke ich schnell auf meiner mehrtägigen Wanderung (quasi ein Erfahrungsaustausch zwischen Nationalparks). Ein Höhepunkt meines Weges, der Bergpass Nakle Choli. 
Meine Begegnungen mit den Tuschetis erweisen sich dann auch als sehr redselig. Nach den routinierten Standardfragen bezüglich Woher? Wie lange? Ehefrau? WIESO NICHT? Wieso keine georgische? kommt eine weitere dazu: "Wieso steigst du über so hohe Berge, wenn es auf der anderen Seite der Bergkette eine Strasse gibt?". Hm? - schwer zu erklären. Ich versuchte es trotzdem, mein Erfolg blieb aber bescheiden. Auf meinem Weg zum Fusse des Passes begann ich mich selbst zu fragen, was ich hier mache. Ist es die Freude an der Natur? Oder brauche ich die sportliche Herausforderung? Habe ich einfach nicht viel Besseres zu tun? Abenteuerlust mit "wohlverdienter" Erholung danach? Ich komme ein bisschen ins Zweifeln, vor allem als ich nach zwei Tagen vor dem Pass stehe.
Blick auf den Aufstieg
Ich mache mich trotzdem auf den Aufstieg. Nach steilen Kilometern habe ich es geschafft und lasse meinen Blick über die Berge schweifen und erkenne plötzlich einen Hirten, der auf einem Stein liegt. Die kaukasischen Hirtenhunde bemerken mich sogleich auch, weshalb ich mich schnell aufmache Bekanntschaft mit dem Hirten zu schliessen (sonst könnten mich die Hunde mit einem Wolf verwechseln!). Ich setze mich zu ihm und natürlich liegt mir eine Frage auf der Zunge: "Weshalb wanderst du mit deinen Schafen bis hierher hinauf?". Ich erhalte ein Lächeln vom Hirten und er antwortet mir, ich solle einfach mit ihm hier sitzen und verstehen. Ganz einfach, ganz unwichtig. Und wir sitzen schweigend auf unseren Steinen.
Einverstanden


Dienstag, 4. September 2012

Verstanden?

Fremde Länder sind so spannend weil sie fremd sind. Hm? das klingt ganz schön banal. Aber sie sind eben auch einfach lustig. Vor allem wenn die lokale Sprache fremd ist. Ich versuche mein Bestes um ein wenig georgisch zu lernen. Meine Konversationen verlaufen aber meist ziemlich stockend. Der beste Ausweg liegt oftmals im gemeinsamen Lachen, das verstehen beide Gesprächspartner.
Für mich ist es schön zu sehen, dass ich nicht der einzige mit Verständigungsproblemen bin. Mein Freund Christoph lebt momentan mit seiner Familie in Buenos Aires und ermöglicht mit seinem Blog wunderbare Einblicke in sein argentinisches Leben.

Und in die Kommunikationshürden:
Yo: ¡Hola! ¿Qué tal?
Él: Bien, bien, gracias.
Yo: Tengo una preguntita. Encontré en la calle una billetera con mucha plata, más o menos 300 pesos.
Èl: Bueno. Podés darmelo.
Yo: ¡No! ¡No! ¡No! Aduyame, for pavor.
Èl: No entiendo.
Yo: Perdón. Quisiera hablar español mejor. Verdadera necessitaría una novia argentina, pero a mi esposa no le gustaría. Por eso es un proceso muy lento.
Èl: ¿Qué quieres, boludo?

Weiter lesen könnt ihr hier http://argentinisches-tagebuch.de und es gibt auch eine Übersetzung dazu.

Montag, 3. September 2012

Bärtige Invasion


Letzte Woche gab es in den georgischen Zeitungen eine neue Schlagzeile (obwohl wir hier in Lagodechi fast nie eine Zeitung zu Gesicht bekommen). „Rebellen aus Dagestan dringen nach Georgien ein“. Nahe der kachetischen Hauptstadt Telawi, rund eine Stunde von Lagodechi nahmen dagestanische Rebellen mehrere Personen als Geiseln. Nach einem Grosseinsatz der georgischen Polizei und Armee lautete das Fazit: 11 Rebellen und 3 georgische Beamte starben bei der Befreiungsaktion.
Eine tragische und auch sehr wunderliche Geschichte. Was die Rebellen in Georgien wollten bleibt im Dunkeln. Grundsätzlich konzentriert sich der Konflikt in Dagestan auf den Kampf zwischen den radikalen Salafisten (sie wollen einen unabhängigen islamischen Staat) und den gemässigten Sufisten (die einen Kompromiss mit dem russischen Staat aushandeln wollen). Ein weiterer Konfliktherd liegt in der Unabhängikeitsbestrebung der Salafisten vom russischen Staat. Jährlich gibt es viele Opfer, vor allem auch auf Seiten der Zivilbevölkerung.
In dieser knappen und unvollständigen Zusammenfassung fällt doch eines auf, die Konflikte begrenzen sich auf das russische Territorium. Weshalb sich dieser Konflikt auf Georgien ausdehnen soll ist schwer nachzuvollziehen. Der georgische Staat betont stets seine Unabhängigkeit vom früheren Zentrum Moskau und die muslimischen Minderheiten sind vor allem in den Grenzgebieten zu Azerbaijan zu finden. Und Sezessionsbewegungen konzentrieren sich hauptsächlich auf die Regionen Südossetien und Abchasien.
Zeltstation der georgischen Grenzwache an der dagestanischen Grenze
Der ganze Vorfall lässt viele Fragen offen, vor allem im Hinblick auf die momentane politische Situation. Wir stehen einen Monat vor den Parlamentswahlen und das bedeutet Wahlkampf auf allen Ebenen. Ich will festhalten, dass meine Analyse auf sehr wenigen Fakten beruht, denn diese sind schwer hier zu erhalten. Aber bekanntlich ist ein äusserer Feind, der die innere Sicherheit gefährdet stets ein nützliches Instrument für die waltende politische Elite. Wenn die Krise dann auch ohne Opfer auf Seiten der Geiseln gemeistert werden kann, so steht die Regierung als Garant der inneren Sicherheit da. Parallelen beispielsweise zu Russland sind augenscheinlich. Der Präsident und seine Partei profiliert sich durch die Abwehr der Gefahren der innerer Sicherheit. Wenn wir dann noch zurück denken an die russische Rochade (Putin wird Premierminister, um in der nächsten Legislaturperiode wieder Präsident zu werden), fällt auf, dass ebenfalls Saakaschwili die institutionellen Voraussetzung für seinen Machterhalt gebildet hat. Ein weiterhin kritisches Auge auf die Entwicklungen kann uns in nächster Zukunft weitere Erkenntnisse geben.